D. Vortrag auf dem Fachgespräch: Programmqualität und gesellschaftliche Kontrolle, veranstaltet von dem Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen und dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland am 15.1.2002 in Dortmund (abgedruckt in epd medien Nr. 6 vom 26.1.2002, S. 5-14)


Programmqualität und deren gesellschaftliche Kontrolle
beim Privatrundfunk – ein überholtes Thema?

Was sagt dazu der Entwurf eines neuen nordrhein-westfälischen
Landesmediengesetzes?

I. Allgemeines

1. Das LRG NW 1987 – eine kühne Kodifikation

In den achtziger Jahren hat sich in der Bundesrepublik Deutschland der Privatrundfunk etabliert. Anfang 1987 kam nach langwierigen Verhandlungen in der Ministerpräsidentenkonferenz der (erste) Rundfunkstaatsvertrag (RStV) zustande. In den Ländern wurden die gesetzlichen Grundlagen für ein öffentlich-privates „duales Rundfunksystem“ gelegt. In Nordrhein-Westfalen entstanden zu jener Zeit zwei gewichtige Kodifikationen: Der öffentliche Sektor des Rundfunkwesens wurde durch das neugefaßte WDR-Gesetz vom 19.3.1985 reformiert und der private Sektor wurde durch das Rundfunkgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (LRG NW) vom 19.1.1987 rechtlich erschlossen.

Inhaltlich orientierte sich das LRG NW in wichtigen Punkten, insbesondere was die Programmqualität und deren Gewährleistung durch die gesellschaftliche Kontrolle betrifft, an den Grundsätzen des WDR-Gesetzes. Damit zielte der Landesgesetzgeber auf ein möglichst hohes programmliches Leistungsvermögen auch der Privaten ab. Ihm war einerseits an einer veritablen Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gelegen, andererseits aber auch an einem relativ hohen Anspruchsniveau im kommerziellen Bereich. Davon erhoffte er sich ein leistungsmäßig einigermaßen ausbalanciertes, auf einen beiderseits förderlichen publizistischen Wettbewerb angelegtes duales System. Das war nach Lage der Dinge ein modernes und kühnes, durchaus ungewöhnliches normatives Konzept.

Und es war ein Konzept, das nicht überall auf Wohlgefallen stieß. Von Unionsseite wurden die beiden Gesetzeswerke zum Gegenstand von Normenkontrollverfahren gemacht, in denen zahlreiche verfassungsrechtliche Einwände vorgebracht wurden. In struktureller Hinsicht ging jene Kritik kurz gesagt dahin, auf dem privaten Sektor sei die Regulierung zu streng, auf dem öffentlichen Sektor hingegen zu milde und locker. Darin spiegelten sich auch entsprechende unternehmerische Interessen wider. Die angegriffenen Gesetze hielten sich aber vor Gericht recht gut. In dem 1991 ergangenen Nordrhein-Westfalen-Urteil beanstandete das Bundesverfassungsgericht das LRG NW lediglich hinsichtlich einer Marginalie, die dann vom Gesetzgeber bald korrigiert wurde. Im übrigen würdigte der Erste Senat den Düsseldorfer regulatorischen Ansatz bemerkenswert intensiv und wohlwollend. Er erblickte darin eine verfassungsrechtlich zulässige Ausgestaltung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) in dessen – in Karlsruhe konsequent praktizierter – funktionaler Auslegung, und er ließ sich dadurch auch zu interessanten und innovativen allgemeineren Aussagen über die verfassungsrechtlichen Standards und ihre politische Konkretisierung in der Ära der neuen Techniken anregen. Dem schloß sich dann auch der Münsteraner Verfassungsgerichtshof an. Hinfort war das LRG NW in überregionalen juristischen und sonstigen Fachkreisen gut beleumundet, bis auf diejenigen Kritiker, die eine stärker deregulierte, eher presseähnliche Marktsteuerung bevorzugten und sich davon auch durch die Verfassungsrechtsprechung nicht abbringen ließen. Jene kritischen Stimmen wurden erst einmal leiser, sie verstummten aber keineswegs – und heute hat jene marktorientierte Position wieder großen Zulauf.

2. Ist das LRG NW jetzt veraltet? Ist Deregulierung angezeigt?

Weshalb ist man in der Düsseldorfer Regierungsmehrheit nunmehr der Ansicht, wir benötigten ein neues Landesmediengesetz? In einer Landtagsdebatte am 14.2.2001 führte Ministerpräsident Clement dazu aus: Das LRG NW stamme aus den achtziger Jahren und sei immer wieder novelliert worden. Solche Fortschreibungen reichten aber heute nicht mehr aus. Vor allem wegen der umwälzenden technischen Veränderungen müsse man einen neuen Ordnungsrahmen schaffen. Man habe die Chance, „ein neues, modernes Mediengesetz aufzulegen“, und wolle sie nutzen. Vielleicht sei das alte Gesetz hier und da „etwas detailversessen“ gewesen. Nunmehr wolle man sich darauf konzentrieren, einen Rahmen zu setzen, und zwar „ohne Verliebtheit ins Detail“. Also müsse die Devise lauten: „deregulieren und vorerst auf neue Regulierungen verzichten“, jedenfalls dort, wo es funktionierende Instrumente der Selbstkontrolle gebe. Ähnlich äußerte sich für die SPD-Landtagsfraktion deren medienpolitischer Sprecher Marc Jan Eumann. Ebenso wenig später über „Eckpunkte für die neue Medienpolitik und die neuen Mediengesetze in NRW“ ein Grundsatzpapier der SPD-Fraktion: Die Rundfunkgesetze müssten an neue gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Entwicklungen angepasst werden. „Wir brauchen heute einen innovationsoffenen Ordnungsrahmen für die Medien, der publizistische Chancen und wirtschaftliche Potentiale ausschöpft. Wir nutzen die Chance, ein neues, modernes Mediengesetz aufzulegen.“

Hier macht sich ein Pathos der Modernität und Erneuerung bemerkbar, das offenbar auf der Einschätzung beruht, das LRG NW – das in den zitierten Äußerungen immer auch als früher wichtig und verdienstvoll bezeichnet und vorab gelobt wird – sei mittlerweile unmodern und weithin veraltet. Das Altersargument als solches wirkt allerdings m.E. ziemlich oberflächlich, wo man es mit einem derart bedeutsamen und weitreichenden, für die Medienordnung hierzulande konstitutiven Regelwerk zu tun hat; mit einem Regelwerk, welches nach wie vor ernstgenommen und pfleglich behandelt werden will – und das erfordert jedenfalls einen langen Atem. Würde man beispielsweise über das geltende WDR-Gesetz (das ja, von den Novellierungen abgesehen, siebzehn Jahre alt ist) ebenso distanziert und kühl reden, oder gar über das Bonner Grundgesetz?

Das Grundgesetz ist 1999 fünfzig Jahre alt geworden. In den Feierlichkeiten und Jubiläumsartikeln zu dem runden Geburtstag pflegte allerdings ein ruhiger, eher wertkonservativer Tonfall vorzuherrschen. Für eine Abschaffung des Grundgesetzes wegen Überalterung sprach sich fast niemand aus. Eine Totalrevision wurde nur vereinzelt gefordert. Im deutschen politischen Mainstream wurde diese aus anderen Zeiten stammende Nachkriegsverfassung dagegen als bewährt und erhaltenswert erachtet, man empfand sie als nach wie vor modern und lebendig. Entsprechendes gilt – um den schönen Vergleich noch einmal zu bemühen – auf Landes- und Medienebene für das WDR-Gesetz, das übrigens im Herbst 2002 wieder einmal geringfügig novelliert werden soll.

Wie kommt es nun, daß das Landesrundfunkgesetz sehr viel leichter zur Disposition gestellt wird? Wie erklärt sich diese Diskontinuität und Sprunghaftigkeit? Dafür gibt es inhaltliche Motivationen, wie sie in den eben angeführten Äußerungen aus Nordrhein-Westfalen bereits angeklungen sind. Ein Hauptmotiv scheint dabei dasjenige einer vermehrten Deregulierung und Marktöffnung zu sein, was der Sache nach – ob man das nun sieht und will oder nicht – auch bedeutet: Die „neue Medienpolitik“ der NRW-SPD nähert sich nunmehr ein Stück weit den CDU-Intentionen an, die man ursprünglich entschieden abgelehnt und, zuletzt in Karlsruhe 1991, erfolgreich bekämpft und zurückgedrängt hatte. Auch an FDP-Positionen ist dabei zu denken. Und wie weit will man bei der Annäherung an CDU/FDP heute eigentlich gehen? Könnte dies auf eine einfache medienpolitische Kehrtwendung hinauslaufen? Könnte es gar mit einem massiven Rechtsrutsch enden? Das bedarf genauerer Untersuchung.

3. Aus der Gesetzesgeschichte: Einige Praxisprobleme

In der nordrhein-westfälischen SPD und in deren Umkreis war gegenüber den in den achtziger Jahren sich formierenden, an bundesweiten bzw. transnationalen werbefinanzierten Rundfunkprogrammen interessierten Großunternehmen der deutschen Medienwirtschaft von vornherein eine erhebliche Unsicherheit zu bemerken. (Ähnliches gilt für den Verlegereinfluß beim Lokalfunk, was an dieser Stelle indes beiseite bleiben mag.) Hinter vorgehaltener Hand wurde z.B. die Frage ventiliert, ob das LRG NW mit seinem ausgeprägten Bemühen um öffentliche Inpflichtnahme und Qualitätssicherung den Privaten nicht zu viel zumute.

Manch einem schien der 1986/87 entwickelte, im Landtag vor allem von dem damals einflußreichen medienpolitischen SPD-Sprecher Jürgen Büssow verfochtene und durchgesetzte regulatorische Ansatz insgeheim zu streng und theorielastig, oder man hielt ihn überhaupt für unrealistisch und irgendwie abgehoben. Von einem wirtschaftsnah-pragmatistischen Standpunkt aus mochten jene weitreichenden, am öffentlich-rechtlichen Herkommen und an entsprechenden konstitutionellen Grundwerten orientierten normativen Absichten und Ideen als überzogen erscheinen. Man stimmte ihnen dann pro forma zu, trat ihnen aber inhaltlich weiter nicht näher oder verstand sie gar nicht mehr wirklich. Statt dessen dachte man lieber an naheliegende und vermeintlich handfeste Dinge: an Standortpflege durch traditionelle Klientelpolitik, an die Anwerbung neuer überregionaler Veranstalter mittels günstiger ökonomischer und rechtlicher Konditionen, an weitere Profilierung in der beginnenden föderativen Konkurrenz durch die Gründung von Medienforen, Medienparks u.ä. Manchmal zeigte sich auch eine Art Aufsteigermentalität, welche zu erheblichen Ungeschicklichkeiten führen konnte, etwa zu Prinzipienvergessenheit und Scheu vor dem Recht, auch zu Distanzlosigkeit, falscher Kameraderie und Nachgiebigkeit im Angesicht großer Bosse. Wieder andere nahmen die Regulierungsprobleme von vornherein ernst, sie neigten jedoch dazu, in puncto Programmqualität in der Hauptsache auf WDR/ARD sowie ZDF zu setzen und darum den Privaten größere Spielräume zu gewähren. Oder man zeigte sich prinzipiell bemüht, auch das Steuerungspotential des LRG NW auszuschöpfen, man wusste damit aber noch nicht recht umzugehen und hoffte erst einmal darauf, dass die 1987 errichtete Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen (LfR) dies in die Wege leiten und daß sie dabei sachkompetent und energisch vorgehen würde.

Die Anstalt startete denn auch vielversprechend. Im weiteren Verlauf gelang es ihr aber immer weniger, die kühn konzipierten, WDR-ähnlichen programmrechtlichen Normen des LRG NW mit Leben zu erfüllen und angemessen zu konkretisieren. Sie agierte bald eher staats- und politik-, bald eher wirtschaftsnah, bei häufigen Schwankungen. Oftmals ließ sie zunächst gute Absichten und Talente erkennen und unternahm brauchbare erste Schritte – um es dann an Durchhaltevermögen fehlen zu lassen und an mangelndem normativ fundiertem und wissenschaftsgestütztem eigenem Standing zu scheitern. Schließlich konnte ein amtierender LfR-Direktor, wie er einmal sagte, in den gesetzlichen Programmgrundsätzen nur noch „weiße Salbe“ erkennen, und die Anstalt verlegte sich überwiegend auf konsensuale Verfahrensweisen: auf ein postmodernes, rechtlich kraftloses Kooperationsprinzip, auf die aus der FCC-Praxis bekannte Politik der „raised eyebrows“ usw.

4. Schwächeerscheinungen, bundesweit

Bei alledem spielten auch bundesweite, nach und nach zunehmende Schwächeerscheinungen und innere Auszehrungen der Privatrundfunkaufsicht eine Rolle. Solche Erosionseffekte ergaben sich namentlich aus der unglücklichen bundesstaatlichen Konkurrenzlage. Als Beispiel sei nur das standortpolitische Tauschgeschäft zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen genannt, das 1996 zur Verwässerung der rundfunkrechtlichen Konzentrationskontrolle führte. Jenes „Wunder von Bad Neuenahr“ war bei Lichte besehen ein fragwürdiges bilaterales Stillhalteabkommen zugunsten der beiden jeweils einheimischen, staatlich-politisch stark protegierten Senderfamilien (Kirch/Bertelsmann), welches von der Ministerpräsidentenkonferenz im „Kamingespräch“ abgesegnet und sodann in einer RStV-Novelle festgeschrieben wurde.

Weniger spektakulär, aber im Ergebnis gleichfalls unerquicklich verlief die Entwicklung des staatsvertraglichen Programmrechts. Hier wie auch sonst ergab sich ein Vereinheitlichungs- und Zentralisierungstrend, welcher gern auf unentrinnbare Sachzwänge zurückgeführt wurde. Er führte zur Abwanderung wichtiger Kompetenzen von der Landes- zur gemeinsamen Länderebene. Auf der höheren, bundesweiten Ebene brachte er jedoch oftmals keine gleichwertigen, sondern nur schwächere Lösungen hervor. Kaum ein Land – und auch nicht Nordrhein-Westfalen – stemmte sich dem notorischen föderativen Unterbietungswettbewerb und Deregulierungsdruck entgegen, kaum ein Land bestand nachdrücklich auf dem eigenen Regelungsniveau und auf regulatorisch äquivalenten neuen Vertragsinhalten. Anspruchsvollere landesrechtliche Aussagen über Programmauftrag und Programmgrundsätze wie diejenigen der §§ 11 ff. LRG NW wurden dadurch auf nationaler Ebene ausgehebelt.
Daß dieser dysfunktionale legislatorische Trend auch auf die alltägliche Aufsichtspraxis der Landesmedienanstalten abfärbte, wird uns weiter nicht wunder nehmen. Erinnert sei nur noch einmal an die konzeptionellen Unsicherheiten und langwierigen inneren Streitereien in Sachen „Big Brother“. Wie zuletzt wieder der ALM-Programmbericht 2000/01 aufgewiesen hat, sind die Bemühungen der Anstalten um Sicherung bzw. Steigerung der privaten Programmqualität, vor allem bei massenattraktiven Vollprogrammen, im wesentlichen vergeblich geblieben. Vielleicht müsste erst so etwas wie eine PISA-Studie über die mentalen Verhältnisse langjähriger RTL-User her, um die Aufsicht aufzurütteln. Davon ist zur Zeit aber nichts zu sehen. Die gesellschaftliche Kontrolle in den Anstalten, die nach dem Buchstaben des Gesetzes die Einhaltung von Programmauftrag und Programmgrundsätzen überwachen und gewährleisten soll, nimmt auch ihrerseits an der großen Unsicherheit und Laschheit teil.
Unterdessen zeichnen sich – u.a. von ausländischen Großinvestoren wie Malone und Murdoch ausgehend – neue Konzentrationsschübe ab, und es ziehen Vermachtungsgefahren bisher unbekannten Ausmaßes herauf. Und wie steht es eigentlich mit dem regulatorischen Impetus und Elan der heutigen deutschen politischen Akteure? Will man alten und neuen kommerziellen Machthabern nunmehr ernstlich entgegentreten? Oder will man sich mit ihnen doch lieber wieder wie gehabt arrangieren?

5. Digitalisierung und Konvergenz – wird dadurch alles anders?

Einige glauben anscheinend, solchen unbequemen Fragen durch die Förderung und forcierte Entwicklung medientechnischer Neuerungen entgehen zu können. Digitalisierung und Konvergenz haben in der Medienpolitik in den letzten Jahren viel von sich reden gemacht. Wir haben vollmundige Prophezeiungen über „Individualisierung“ gehört. Eine Welle von Technikeuphorie, Freiheitspathos, Gründungsfieber, Marktgläubigkeit ist über das Land hinweggegangen. Die öffentlich-„dienende“ Rundfunkfreiheit bisheriger (Karlsruher) Provenienz hat man in Deutschland im neuerwachten Privatisierungseifer immer wieder für überholt und veraltet erklärt. Für ein künftiges, einheitlich konzipiertes Multimedia-Recht hat man den Übergang zu presseähnlichen, möglichst geringen Regulierungsgraden gefordert. Man war von den einfachen, ökonomisierenden Lösungen angetan: weg vom Kultur- und hin zum allgemeinen Wirtschaftsrecht.

Indes haben sich solche neoliberalen Blütenträume bislang nicht verwirklicht. Die Digitalisierung kommt nur langsam voran. Konvergenzprozesse machen sich in der Praxis nur sehr gemächlich bemerkbar. Und die Internet-Wirtschaft boomt nicht mehr. Dennoch bringt der technische Wandel einigen neuen Konzeptfindungs- und Gesetzgebungsbedarf mit sich; das wird hier nicht in Abrede gestellt. Vielfalt- und sonstige Qualitätssicherung bleiben unterdessen auf der Tagesordnung: Inwieweit sind nun im einzelnen – bei Kontinuität im Grundsätzlichen – neue Modelle und Instrumentarien nötig, um den kommenden Herausforderungen begegnen zu können? Und zwar so, wie es Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in der Karlsruher Interpretation will, ohne die erwähnten Bequemlichkeiten und Ausreden, Anpassungsattitüden usw.

6. Warum ein neues Gesetz?

Damit sind wir wieder bei der Frage: Weshalb braucht dieses Land ein neues Mediengesetz? Denn die derzeit im politischen Raum in Nordrhein-Westfalen oft zu hörende, erstmals von Clement formulierte Antwort geht anscheinend noch von einem ungebrochenen medientechnologischen Fortschrittsglauben aus, wie er in der Hochzeit der New Economy üblich war, und sie läuft im Kern auf ein entsprechendes mehr stimmungsmäßiges, kritischer Analyse dringend bedürftiges Deregulierungsmotiv hinaus. Damit zeichnet sich in der Tat eine prinzipielle Kehrtwendung ab.

Werden die zahlreichen eben berührten Steuerungs- und Reformprobleme mittlerer Reichweite nun also ungelöst bleiben? Wird man vor den „Mühen der Ebene“ definitiv zurückscheuen? Wo sich Gesetzgebung und Aufsicht bislang redlich bemühten, wieder in die Gänge zu kommen, könnte jetzt womöglich etwas ganz anderes geschehen: Man würde die Probleme mit leichter Hand anfassen und irgendwie zu eskamotieren versuchen, man würde z.B. viele von ihnen einfach wegdefinieren, die Marktdynamiken grundsätzlich freigeben und im übrigen auf die (noch zu entwickelnde) Medienkompetenz auf der Benutzerseite verweisen. Daraus ließe sich sogar so etwas wie ein spaßkulturelles Event machen.

Wie sich versteht, stellen alle Beteiligten solche flotten Absichten momentan in Abrede. Auch wo programmatisch über eine kommende „Informations- und Wissensgesellschaft“ geredet wird, sucht man sich vor Euphorien zu hüten. Man beteuert etwa die fortdauernde Gültigkeit der verfassungsrechtlichen Grundwerte in der Karlsruher Auslegung: Diese sollten auch das neue Gesetz durchziehen und prägen. Letzteres würde allerdings bedeuten: Man müsste auf alertes und wendiges marktorientiertes Verhalten ganz verzichten. Man müßte sich statt dessen auf den regulatorischen Ansatz von 1987 zurückbesinnen, an das LRG NW und die damit gemachten Erfahrungen anknüpfen und sich durch den Berg der alten und neuen Probleme geduldig hindurcharbeiten. Ob dabei eine weitere LRG-Novelle oder ein neues Gesetz herauskommt, ist dann nebensächlich – immer vorausgesetzt, die „neue Medienpolitik“ bleibt der Sache nach in der Kontinuität der alten und leitet sich aus demselben (eben nicht veralteten, sondern immer noch aktuellen und avancierten) Grundrechtsverständnis her.

Ob letztere Voraussetzungen tatsächlich gegeben sind, sei nun im Blick auf ein paar ausgewählte speziellere Themenfelder etwas näher erörtert. Dabei steht der Referent vor der Schwierigkeit, dass es gegenwärtig noch keinen der Allgemeinheit zugänglichen Referentenentwurf gibt. Ein in der Staatskanzlei entstandener erster ausformulierter Gesetzentwurf war zunächst vielerorts als unbefriedigend empfunden worden. Er ist dann aufgrund verschiedener informeller Kontakte intern überarbeitet worden, soll aber erst Anfang Februar der Öffentlichkeit vorgestellt und im Internet präsentiert werden. Im März soll daraus schon ein Regierungsentwurf resultieren, und der Landtag soll ihn tunlichst noch vor der Sommerpause abschließend beraten und verabschieden. Bisher scheinen den Entwurf, von dem es anscheinend mehrere Varianten gibt, nur gewisse Insider zu kennen. Alle anderen bleiben auf die sozusagen halboffiziell ausgestreuten Informationen und im übrigen auf Hörensagen angewiesen. Das ist eine merkwürdige Lage, aus der es nun das Beste zu machen gilt.

II. Was wird aus Programmqualität und gesellschaftlicher Kontrolle?

1. Entkoppelung von Zulassung und Kapazitätsvergabe:  Beginnt hier ein Wechsel des Paradigmas?

Ein erster wichtiger, freilich auch ziemlich schwieriger, hier nur kurz zu behandelnder Punkt ist die Düsseldorfer Absicht, die Zulassung privater Veranstalter von der Zuweisung von Übertragungskapazität generell abzukoppeln. Dieses Vorhaben ist von Clement und Eumann bereits am 14.2.2001 angekündigt und in dem SPD-Eckpunktepapier sodann etwas näher umrissen worden. Der Ministerpräsident geht dabei von der Annahme aus, im Zeichen von Digitalisierung und Konvergenz werde die Zulassung nicht mehr wie bisher im Mittelpunkt stehen. Sie könne nun weitgehend dereguliert werden: „Wer Rundfunk veranstalten möchte – in welcher Form auch immer  –, soll das zunächst einmal dürfen.“ Programmrechtliche Bindungen und konkrete Gebietsbezüge sollen bei der Lizensierung anscheinend nicht mehr berücksichtigt werden. Sie sollen wohl erst in der nachfolgenden, zweiten Verfahrensphase, in der es um die Zuweisung von Übertragungskapazität geht, ins Spiel gebracht werden, auch dort freilich nur in einer stark liberalisierten, tendenziell außenpluralistischen Lesart. Dabei soll es in der Hauptsache auf chancengleichen und diskriminierungsfreien Zugang ankommen, und im übrigen auf das als verfassungsrechtlich unverzichtbar erachtete Mindestmaß an Content-Regulation und Vielfaltgewährleistung.

Dem scheint eine Überfluß-Hypothese zugrunde zu liegen, derzufolge man nunmehr im gesamten Medienbereich über kurz oder lang mit presseähnlichen Verhältnissen und mit dem Ende bisheriger rundfunktypischer Knappheitserscheinungen zu rechnen hat, also mit dem Wegfall der technisch-finanziellen „Sondersituation“ des Rundfunks i.S. des 1961 ergangenen ersten Karlsruher Fernsehurteils. „Wir haben es mit neuen Inhalten, mit fantastischen neuen Vertriebswegen und mit neuen Möglichkeiten der Nutzung zu tun“, so Clement emphatisch. Unter diesen Umständen soll für die erste Verfahrensphase (Lizensierung) so etwas wie das süddeutsche sog. Führerscheinmodell ausreichen. Und in der mittelfristigen Konsequenz dieses Ansatzes liegt wohl der Wegfall des rundfunkrechtlichen Zulassungserfordernisses überhaupt (das ggf. durch eine bloße Anzeigepflicht abgelöst würde), d.h. ein presseähnlicher Liberalisierungsgrad, wie er derzeit im Saarland in dem dortigen Regierungsentwurf eines neuen Landesmediengesetzes angestrebt wird. Was aber würde diese Entkoppelung für die Zukunft der rundfunkspezifischen Qualitäts-, insbesondere Vielfaltsicherung bedeuten? Was würde davon noch übrigbleiben? Was könnte davon noch aufsichtlich operationalisiert und realiter durchgesetzt werden? Und was sagt dazu eigentlich das Grundgesetz?

Soweit potentielle Veranstalter in der Zulassungsphase von rundfunkspezifischen Bindungen grundsätzlich freigestellt werden, kündigt sich hier eine Abkehr von dem bisherigen, auf dem FRAG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1981 beruhenden und 1991 im Nordrhein-Westfalen-Urteil weiter ausgeführten Konzept der Rundfunkfreiheit als öffentlich-„dienender“ Freiheit an. In der gedachten zweiten Phase, also im Zuge der Vergabe von Übertragungskapazität, will man von diesem funktionalen Konzept dann wohl nachträglich doch noch etwas ins Spiel bringen. Es fragt sich allerdings, ob solche nachgeschobenen regulativen Vorkehrungen so viel Gewicht haben sollen und können, daß den verfassungsrechtlichen Anforderungen Genüge getan wird. Wohlgemerkt ist das funktionale Konzept nach der Rechtsprechung seit dem FRAG-Urteil nicht mehr von technischen und finanziellen Engpaßsituationen abhängig und auf diese beschränkt, vielmehr ist es prinzipiell – ggf. mit sachlich gerechtfertigten Abwandlungen im einzelnen – auch in technisch-finanziellen Normal- sowie Überflußsituationen maßgeblich. Der Gesetzgeber darf das Rundfunkrecht eben nicht einfach auf die schiefe Bahn in Richtung Presserecht bringen. Handelt es sich hier nun um statthafte Abwandlungen in Modalitätenfragen – oder zeichnet sich tatsächlich ein Wechsel des Paradigmas ab, welcher mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar wäre?

2. Wo bleibt der qualifizierte Programmauftrag?

Ob wir es in diesem Sinn mit evolutionären oder mit revolutionär-umwälzenden Effekten zu tun haben, entscheidet sich in der zweiten Phase. In ihr kann es nun nach Lage der Dinge zu erheblichen Schwierigkeiten kommen. Prekär ist die dortige Lage schon deshalb, weil es in der ersten Phase kaum noch ins Gewicht fallende Vorentscheidungen zugunsten einer „dienenden“ Rundfunkfreiheit geben wird – eher wird das Gegenteil der Fall sein: Dort wird fortan eine Weichenstellung in Richtung Marktrundfunkfreiheit eingeleitet, und diese wird hernach nicht mehr ohne weiteres rückgängig zu machen sein.

Bislang kann die LfR im Zulassungsverfahren bei günstigem Verlauf beispielsweise auf das terrestrische TV-Angebot einigen präventiv-gestalterischen Einfluß nehmen. Sie kann sich dabei auf vielfaltsichernde gesetzliche Zulassungsgrundsätze stützen, welche den qualifizierten, konkret-gebietsbezogenen Programmauftrag („Medium und Faktor“, § 11 LRG NW) widerspiegeln und mit den geltenden anspruchsvollen Programmgrundsätzen – z.B. dem Erfordernis reiner Binnenpluralität bei Vollprogrammen (§ 12 Abs. 3 LRG NW) – und mit sonstigen strukturell wirksamen Maßgaben des 4. Abschnitts – etwa der Garantie journalistischer Eigenverantwortung (§ 13 LRG NW) als Grundelement innerer Rundfunkfreiheit – im Zusammenhang stehen. So kann die Anstalt bestimmte der Programmqualität in concreto dienliche verbindliche Vorgaben in die jeweilige Lizenz aufnehmen, durch geeignete Auflagen absichern u.ä. Durch solche anfänglichen Direktiven läßt sich das programmrelevante Verhalten insbesondere potenter Großanbieter bereits im Gründungs- und Aufbaustadium in die rechtlich erwünschte Richtung lenken.

Dies jedenfalls dann, wenn es sich um wirklich auf dem Boden des Gesetzes stehende, kooperationswillige Bewerber handelt. Um auch Widerspenstige für die Qualitätsziele des Gesetzes gewinnen und dabei auch den nötigen Nachdruck entfalten zu können, könnte die LfR sicherlich noch bessere, die Operationalisierung und Umsetzung erleichternde ordnungsrechtliche Instrumente brauchen; das mag hier indes auf sich beruhen. Erinnert sei aber noch einmal daran, daß das relativ strenge landesgesetzliche Zulassungs- und Programmregime, das ursprünglich auch für hier lizensierten nationalen bzw. transnationalen kommerziellen Rundfunk galt, hinsichtlich bundesweiter Rundfunkprogramme später durch kompromißhafte, ziemlich milde gehaltene Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags überlagert und weitgehend verdrängt worden ist. Das betrifft, wie erwähnt, auch die rundfunkspezifische Konzentrationskontrolle. Im übrigen sind die claims mittlerweile abgesteckt, und auf diesem Gebiet ist nur noch wenig Bewegung zu verzeichnen. Eine neue Chance für konsequente Gesetzesanwendung wird es aber wohl nächstens beim landesintern-landesweiten (künftig regionalen) privaten Verlegerfernsehen geben. Wie auch immer – das Führerscheinmodell hat zur Folge, daß von den landesrechtlichen qualitätssichernden Ansätzen in der Zulassungsphase hinfort gar nichts mehr vorkommt. Kann dann noch etwas davon in der Phase der Kapazitätszuteilung wiederaufleben, und ggf. wie viel?

Dazu sei zunächst festgehalten: Diese zweite Phase wird regulatorisch wichtig, wenn und soweit es noch Kapazitätsengpässe und entsprechende Vorrangentscheidungen gibt. Dann und nur dann soll offenbar nach Clement ein gewisser restlicher rundfunkspezifischer Gestaltungsbedarf bestehen. Die erwähnte verengte Doktrin vom baldigen Wegfall der verbreitungstechnischen „Sondersituation“ wirkt sich also wohl dahingehend aus, daß landesrechtliche Qualitätssicherung überhaupt nur noch übergangsweise betrieben werden soll. Sie wird anscheinend als eine Art Provisorium und Hilfslösung verstanden, irgendwo im Vorfeld einer als mittelfristig möglich und prinzipiell vorzugswürdig erachteten funktionsfähigen Marktsteuerung. Demgemäß wird man sich um eher liberale und lockere, tendenziell außenpluralistische Kriterien der Kapazitätsvergabe bemühen. Man hat es dann nämlich mit bereits lizensierten und mehr oder minder etablierten, andernorts eventuell schon marktstarken Veranstaltern zu tun, und diese werden normalerweise mit Binnenpluralität, unabhängigem Journalismus und WDR-ähnlichen Programmstandards nichts am Hut haben. Sie werden vor allem ein spaßkulturell abgeflachtes „Infotainment“ bzw. „Emotainment“ betreiben wollen. Denn ein derartiges boulevardisiertes „Unterschichtfernsehen“ scheint hierzulande am ehesten massenattraktiv und ertragsstark.

Unter diesen Umständen wird man am ehesten mit Verteilungspraktiken zu Rande kommen, wie sie für das bisherige Weiterverbreitungsrecht charakteristisch sind. Man wird demnach mit den jeweils vorhandenen und fertigen, sozusagen kontingenten und qualitativ oftmals armseligen Einzelangeboten eher schonend umgehen und sie zu einem möglichst vielfältigen außenpluralen Gesamtangebot arrangieren wollen. Wo eine derartige externe Vielfalt nicht machbar ist, wird man allerdings auf Interessenten hoffen, welche auch ein Stück gebietsmäßig verankerte innere Vielfalt prästieren und noch etwas vom Integrationsrundfunk alter Art wissen, und solchen Bewerbern wird man tunlichst den Vorrang einräumen wollen. Es fragt sich freilich, ob es solche besonderen Programmangebote auf dem Boden des hiesigen Zufallsprinzips überhaupt noch geben wird. Wenn sie nicht vom Markt generiert werden, werden sie von der Medienanstalt nicht ersatzweise erschaffen, gleichsam künstlich am Leben gehalten und dauerhaft gewährleistet werden können. Dafür fehlt hiernach jegliches brauchbare Instrumentarium.

Daran ändert sich auch nichts, wenn man einen eigenen, auch für laufende Aufsichtszwecke einschlägigen programmrechtlichen Abschnitt beibehält und wenn man in ihn einen WDR-ähnlichen, auf umfassende Information angelegten Programmauftrag wie denjenigen des § 11 LRG NW hineinschreibt. Das „Medium- und Faktor-“Prinzip i.S. der Verfassungsrechtsprechung mag sich darin noch, wie im SPD-Eckpunktepapier angekündigt, dem Wortlaut nach wiederfinden oder nicht – das bleibt sich der Sache nach gleich: Solche wohlklingenden Normen würden in dem grundsätzlich marktorientierten Umfeld mehr abstrakt und symbolisch bleiben, sie wären eben kaum noch operationalisierbar. Von einer Rundfunkfreiheit als Funktionsgrundrecht ist bis hierher also nicht mehr viel zu sehen. Wir befinden uns vielmehr irgendwo im Vorfeld eines neoliberal konzipierten Marktrundfunks, und die Karlsruher anderslautenden Maximen scheinen nach und nach zur fernen Erinnerung zu werden.

3. Gefragt ist antizyklisches Verhalten

Werden die SPD- und die GRÜNEN-Fraktion im Düsseldorfer Landtag dieses modische, m.E. ziemlich schlichte Deregulierungskonzept nun tatsächlich als innovativ bewerten und unbesehen übernehmen? Wenn das nicht der Fall ist und wenn man statt dessen von dem LRG NW 1987 ausgehen und auf Kontinuität achten will, wird man in folgender Richtung weiterdenken können:

Ist die Abkoppelungsidee – die in der derzeit angekündigten Ausprägung deutlich dysfunktionale Züge aufweist – so weit korrigierbar, daß sie erst einmal akzeptabel erscheint, oder führt sie ganz und gar in die Irre? Manches spricht, wie mir scheint, für letztere Annahme. Das Führerscheinmodell als solches sollte also kritisch überprüft und ggf. als Irrweg verworfen werden. Jedenfalls dürfen programmliche Qualitätssicherungsversuche in der zweiten Phase nicht auf etwaige Kapazitätsengpässe und Vorrangentscheidungen beschränkt bleiben. Im übrigen sollte das landeseigene materielle Programmrecht generell revitalisiert und stark gemacht werden. Auch das Vollzugsinstrumentarium bedarf der Verbesserung. Dies möglichst auch mit bundesweiter Ausstrahlung und Auswirkung auf die RStV-Ebene. Warum sollte unser Land hier nicht einmal an frühere öffentlich-mediale Errungenschaften anknüpfen und damit konzeptionell in Führung gehen, anstatt sich mit fremden Federn zu schmücken? Ist simple Marktgläubigkeit denn nicht längst passé?

4. Das Gremienwesen vor einschneidenden Reformen

Breit und buntfarbig ist das Spektrum der gegenwärtig im Lande diskutierten die gesellschaftliche Beteiligung und Kontrolle – insbesondere auf dem privaten Sektor – betreffenden Änderungsvorschläge. Dabei ist der modellmäßige Ausgangspunkt kurz gesagt folgender: Nach WDR-Gesetz 1985 und auch LRG NW 1987 gibt es einen qualifizierten Programmauftrag, welcher sich an nächster Stelle an die professionell-publizistisch Tätigen in der Anstalt bzw. bei den Veranstaltern richtet. Die Gremienkontrolle soll gewährleisten, dass der Auftrag von ihnen angemessen erfüllt wird. Wenn sich der Programmauftrag nun ändert, zieht das auch Veränderungen von Funktion und Struktur des Gremienwesens nach sich. Wenn der Gesetzgeber z.B. für private Programme das Anspruchsniveau senkt, bleibt er in der Konsequenz dieses Ansatzes, wenn er auch den Kontrollaufwand entsprechend verringert. Läßt er das Erfordernis einer bestimmten normativ vorgegebenen Programmqualität ganz fallen, so ist das bisherige Kontrollgremium funktionslos geworden und wird konsequenterweise gänzlich beseitigt. Gesellschaftliche Kontrolle ist dann ein überholtes Thema.

Und das sind hierzulande, wie sich eben schon gezeigt hatte, nicht nur müßige Gedankenspiele. Der eben beschriebene (nur) das LRG tangierende programmrechtliche Reduktionismus setzt sich auch organisationsrechtlich-institutionell fort, er erfasst (nur) die LfR und drückt sich vor allem in der Absicht aus, deren Rundfunkkommission zu „verschlanken“. Auch insoweit lässt man beim WDR alles beim Alten, man hält aber jetzt die WDR-Analogie bei der LfR für überholt und rückt davon ab. Man begibt sich auf die Suche nach einer zu den jetzigen, deutlich zurückgenommenen und flexibilisierten programmlichen Leitvorstellungen passenden organisatorischen Alternative, man ist dabei aber noch nicht recht vorangekommen. Man will eine „Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen“ als Funktionsnachfolgerin der LfR kreieren. Programmlich wie auch institutionell hat dieses Reformprojekt allerdings, wenn man von schlichten Deregulierungswünschen absieht, noch keine sonderlich klaren Konturen. Immerhin lässt sich so viel sagen: Hinsichtlich des Gremienwesens zeigt sich bei den politischen Akteuren mehr Phantasie und Kreativität. Die Schalmeien des Neoliberalismus klingen hier etwas leiser.

Nach den Erklärungen Clements und Eumanns in der Landtagsdebatte vom 14.2.2001 und nach dem SPD-Eckpunktepapier ist daran gedacht, die LfR-Rundfunkkommission (künftig: „Medienkommission“) von zur Zeit 45 auf 15 ordentliche Mitglieder zu verkleinern. Stellvertretende Mitglieder soll es nicht mehr geben. Die Kommission soll also personell im Maßstab 3:1 bzw. – wenn die Stellvertreter hinzugerechnet werden – 6:1 verkleinert werden. Das bisherige, dem WDR-Rundfunkrat nachgebildete System der vier „Bänke“ (Staats-, Verbände-, Bürger-, Kulturbank, § 55 Abs. 2-5 LRG NW) soll entfallen. Ursprünglich war auch die Abschaffung des Direktentsendungsrechts der gesellschaftlichen Gruppierungen geplant: Sämtliche Kommissionsmitglieder sollten vom Landtag mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Das hatte indes heftige, auch auf Verfassungsbedenken (Staatsferne) gestützte Proteste hervorgerufen, denen man sich in Düsseldorf nicht verschloß. Nunmehr sollen 5 Kommissionsmitglieder vom Landtag gewählt und die übrigen 10 von bestimmten, meist zu größeren „Bereichen“ zusammengefaßten Verbänden und Institutionen entsandt werden. Nur im religiösen Bereich hat man eine derartige Sammelrubrik nicht zu bilden gewagt: Evangelische und Katholische Kirche sowie jüdische Kultusgemeinden sollen weiterhin je einen eigenen Sitz besetzen können.

Die Verkleinerung kann nach Clement die Arbeitsabläufe in der LfR „effizienter, zeitnäher und unaufwendiger“ machen. Nach Eumann kann sich die Kommission so „konzentriert den neuen Anforderungen der Medienaufsicht stellen“. Weitere explizite Begründungen für den Eingriff sind rar, jedoch deutet sich manchmal ein generell schwindendes Verständnis für die bisherigen Funktionen dieses anstaltlichen Grundorgans an, oder das Gremium wird als nicht hinreichend fit für das Zeitalter von Digitalisierung und Konvergenz empfunden, nämlich als dickleibig, umständlich, unbeweglich, entscheidungsschwach usw.
Das versteht sich auch vor dem Hintergrund einer bundesweiten Neuordnung der Privatrundfunkaufsicht, welche derzeit im politischen Raum diskutiert wird und sich über kurz oder lang in weiteren staatsvertraglichen Absprachen niederschlagen soll, so in einem Jugendschutzstaatsvertrag (tunlichst unter Einbeziehung des Bundes) und in einem siebten Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Insoweit kündigen sich bei den einzelnen Landesmedienanstalten Funktionseinbußen an. Die davon betroffenen Steuerungsfunktionen sollen an neue gemeinsame zentrale Einrichtungen abwandern – um dort dann eventuell wieder in deregulierter oder sonstwie derangierter Form anzukommen. Es wird über die Schaffung bundesweit zuständiger, entscheidungsbefugter „Zentraler Kommissionen“ für die Bereiche Inhalteaufsicht, Digitaler Zugang und Medienkonzentration sowie Jugendschutz gesprochen. Näherhin sind diese Vorstellungen noch mehrdeutig und teilweise strittig.

Auf Länderseite wird wohl einerseits an Nationalisierung als weitere Liberalisierung der Aufsicht über nationales bzw. transnationales Privat-TV gedacht, andererseits aber auch daran, die Aufsicht durch Einfügung eines wissenschaftsorientierten Expertenelements nach dem Bilde der Kommission für die Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) zu stärken. So sollen die „ZeKos“ als Organe der Landesmedienanstalten fungieren, sie sollen aber (auch? nur?) aus externen Sachverständigen à la KEK bestehen. Hiergegen ereifern sich nun die Anstalten: Die Verlagerung von Entscheidungen in Sachverständigenkommissionen würde das föderale System „im Kern beschädigen“. Man attestiert sich in den Anstalten selbst eine größere funktionelle Integrität und Staatsferne, man will aber doch wohl auch bei seinen bisherigen weichherzigen Praktiken bleiben und sich dafür ein Hintertürchen offen halten. Man liebt eben auch die bequemen standortpolitischen Deals – eben das, was andernorts zu mancher Kritik führt und den Verschlankungsplänen der Politiker von innen heraus Vorschub leistet. Hier ist Remedur vonnöten, und entsprechendes gilt dann auch für die RStV-Ebene.

5. Zwei neue Gremien für Expertise und Partizipation: „Medienrat“, „Medienversammlung“

Daß der Landesgesetzgeber die heutige LfR-Rundfunkkommission nicht ohne Skepsis und Unbehagen wahrnimmt, drückt sich auch darin aus, dass er der künftigen Medienkommission, ihrer kleineren Nachfolgerin, gewissermaßen zwei Nebenbuhlerinnen erschaffen will. Er will ihr zwei weitere, gleichfalls bei der Landesmedienanstalt anzusiedelnde Gremien mit verwandten Funktionen hinzugesellen. Dabei soll im einem Fall der politisch-praktische Stellenwert szientifischer Expertise betont und erhöht werden, im anderen derjenige breiter, möglichst ungefilterter Interessenartikulation und direkter Partizipation.
Das beginnt mit einem „Medienrat“ als zusätzlichem kollegialem Anstaltsorgan mit anderer, von derjenigen der Kommission stark abweichender personeller Typik. Dieser besondere Board soll aus fünf Mitgliedern bestehen, welche wissenschaftliche Kenntnisse in medienrelevanten Bereichen haben müssen. Sie sollen vom Landtag jeweils aufgrund eines Dreiervorschlags der Medienkommission gewählt werden. Ihre Aufgabe geht vor allem dahin, einmal im Jahr einen Bericht über Stand und Entwicklung des Rundfunks im Lande zu veröffentlichen, insbesondere zu Problemen von Vielfaltsicherung, Medienethik, Mediennutzung, Medienqualifikation sowie ökonomischer Lage bei Veranstaltern und Beschäftigten. Adressaten des Berichts sollen die anderen Anstaltsorgane und zumal das Parlament sein. Der Rat kann Kommission und Direktor bei deren Aufgabenerfüllung auch weitere wissenschaftliche Unterstützung anbieten. Daß er damit auch Gehör findet und gestalterisch einflussreich werden kann, versteht sich freilich nicht von selbst – man denke nur an die inneren Schwierigkeiten, die die jetzigen Anstalten bereits mit der KEK haben, und noch mehr mit eventuellen weiteren auf unabhängige Expertise angelegten „ZeKos“.
Ähnliches gilt für das zweite zusätzliche Gremium, das anfangs „Kommunikationsplattform NRW 21“ genannt wurde und nunmehr „Medienversammlung“ heißt. Am Anfang steht auch hier eine Initiative von Clement, der an dieser Stelle einen besonderen innovativen Akzent setzen will: „Wir brauchen andere, breitere, neue Formen der Kommunikation und der Mitwirkung.“ Und zwar denkt Clement der Medienversammlung die Aufgabe zu, einfache Bürger und Mediennutzer, „die nicht aus den formierten Kreisen kommen“, mit den Machern und Veranstaltern ins Gespräch zu bringen, auch im Blick auf Probleme, Unsicherheiten und Verwerfungen in der jetzt beginnenden Übergangsperiode und diesbezügliche Lösungsvorschläge kraft Alltagserfahrung und praktischer Vernunft. Dem SPD-Eckpunktepapier scheint hingegen eine Art verbandsgesellschaftliche Clearingstelle für Interessenkonflikte vorzuschweben, nämlich eine deliberative und beratende informell-repräsentative Instanz in Gestalt eines vom Ministerpräsidenten einzuberufenden wiederkehrenden Meetings einiger von ihm ausgesuchter „hochrangiger Vertreter des Medienlandes NRW“. Nach dem Referentenentwurf wiederum soll die Medienversammlung turnusmäßig von der neuen Landesmedienanstalt geplant und durchgeführt werden. Dabei soll die Anstalt den Zweck verfolgen, den Diskurs zwischen den Mediennutzern, den im Mediensektor redaktionell Beschäftigten, den Medienproduzenten und –anbietern, der Medienwissenschaft, Medienjournalisten sowie der Medienpolitik über den Stand und die Fortentwicklung der Medien in Nordrhein-Westfalen in Gang zu bringen und voranzutreiben.

Damit ist nun ein breites Feld möglicher Themen und Teilnehmer angesprochen – ein als Reformpotential interessantes Konzept, welchem freilich auch gewisse Formlosigkeitstendenzen und Ineffizienzprobleme innewohnen. Der User-Ansatz müsste darin klarer herausgearbeitet werden. Misslich ist z.B. der Vorschlag, dieses forumsartige Gremium (das wohl keinen eigenen Organstatus haben soll) während des alljährlichen, heute eher disparaten und jahrmarktartigen Kölner Medienforums tagen zu lassen – dort könnte daraus nur zu leicht eine von vornherein folgenlose, extern manipulierte Feigenblattaktion werden. Man wird also besser beraten sein, für die Versammlung einen ruhigen Ort wie etwa Stenden zu suchen, und man wird sich um verfahrensmäßige und institutionelle Intensivierungen solcher Nutzerbeteiligung kümmern müssen. Auch bleibt das Verhältnis einer so konzipierten Medienversammlung zu Medienkommission und Medienrat zu klären. Da gibt es Berührungen und Überschneidungen, aus denen sich manche Misshelligkeiten ergeben könnten. Es bleibt also noch einiges zu tun.

6. Zum weiteren Vorgehen: Alternativen und Optionen

Lassen wir die bisherigen Befunde noch einmal insgesamt auf uns wirken, so ergibt sich folgender Eindruck: Der Gesetzentwurf ist noch nicht aus einem Guß, er hat vielmehr Stückwerkscharakter und enthält Elemente und Ansätze, welche noch nicht recht zusammenpassen. Was den weiteren Fortgang betrifft, so resultieren daraus mehrere durchaus unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen, die hier noch kurz vor Augen geführt seien.

In zulassungs- und programmrechtlicher Hinsicht scheint der Entwurf von dem vorhin aufgezeigten modisch-flotten Deregulierungsbestreben geprägt. Fast sieht es so aus, als solle die private Programmqualität danach kein Thema mehr sein. Bei einem derart schneidigen Vorgehen würde sich allerdings auch eine gesellschaftliche Kontrolle bisheriger Art erübrigen – denn was könnten dann noch die Ziele und Maßstäbe ihres Engagements sein?

Nun wendet sich der Entwurf dem Gremienwesen aber doch noch angelegentlich zu. Er enthält dazu umfängliche und beachtliche, wenn auch noch nicht ausgereifte Reformvorschläge. Die heutige Rundfunkkommission will er nicht ersatzlos streichen. Sie soll vorerst nur verkleinert und von zwei weiteren Gremien flankiert werden, welche sie vielleicht später einmal beerben könnten. Die Neulinge lassen sich indes wohl auch so ins Spiel bringen, dass sie die Kommission regulatorisch unterstützen und ergänzen und mit ihr Arm in Arm vorgehen. Dadurch kann die Kommission dann bei günstigem Verlauf auch selbst erstarken und sich dauerhaft behaupten. Und das ist eine Option, welche m.E. den Vorzug verdient. Sie wird sich freilich nicht wie von selbst durchsetzen, sondern dies bedarf nachdrücklicher Intervention und kritischer Argumentation aller derer, die noch nicht von der Marktgläubigkeit angesteckt sind. Es bedarf der Fürsprache gerade auch jener gesellschaftlich relevanten Kräfte, um deren fortdauernde Beteiligung an der öffentlichen Rundfunkkontrolle es dabei geht.

Dies setzt erst einmal voraus, daß es für die Gremien überhaupt noch etwas Nennenswertes zu tun gibt, einschließlich von Gewährleistungsaktivitäten à la LRG NW 1987. Darin könnte nun ein Widerspruch zu den zulassungs- und programmrechtlichen Gesetzespartien liegen, die zur Zeit noch in eine andere, eher marktoptimistische Richtung gehen. Dort müssten also zunächst entsprechende Umakzentuierungen und Nachbesserungen stattfinden – ohne dies kann über eine funktionsgerechte Gremienreform gar nicht sinnvoll geredet werden. Nur so lässt sich auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht die sichere Seite erreichen.

Im übrigen wird die Medienkommission auch nach dem neuen Design im Mittelpunkt stehen müssen. Ihrer Revitalisierung wird unser besonderes Augenmerk gelten müssen, wobei nicht daran gedacht werden sollte, sie auf ordnungsrechtliche Agenden, auf Angelegenheiten des Gesetzesvollzugs und der laufenden Verwaltung o.ä. zu beschränken. Sie sollte nicht sozusagen auf das Altenteil gesetzt oder sonst wie in die Subalternität verwiesen werden. Auch ihre gruppenplurale Legitimation und Struktur als solche sollte beibehalten werden. Der zahlenmäßigen Verkleinerung wird man nach Lage der Dinge nicht prinzipiell widersprechen wollen. Im einzelnen ist hier jedoch noch manches diskussionsbedürftig, beginnend mit der jetzt vorgesehenen geringen Kopfzahl, die zu erheblichen Schwächungen führen kann. Dadurch wird auch die Beibehaltung des bisherigen, m.E. brauchbaren und entwicklungsfähigen Vier-Bänke-Systems vereitelt.

Dieses System erlaubt bislang nicht zuletzt die Einbeziehung medienspezifischen und mediennahen Sachverstands auf der Kulturbank. Dazu gehört auch szientifische Expertise, von der es in dem Gremium nie genug geben kann. Die insoweit bisher bestehenden Hemmnisse werden sich auch dadurch verringern lassen, dass der Kontakt mit dem Medienrat gepflegt und nach Möglichkeit intensiviert wird. Dies übrigens auch vor dem Hintergrund einer stets denkbaren modellmäßigen Alternative: Falls die Kommission ihre jetzige letzte Chance versäumt und nicht wieder zu Kräften kommt, mag sie über kurz oder lang durch den Medienrat – der dann nach dem sog. Ratsmodell auszubauen wäre – abgelöst werden.

Die Medienkommission sollte sich auch auf das Spezifikum der Medienversammlung, wie es sich in dem Entwurf nunmehr abzeichnet (direkte Partizipation, insbesondere als Mitsprache der Nutzerseite) einstellen, und sie sollte dieses starke Potential sich auch selbst anzuverwandeln versuchen. Auch daraus könnte sie neue Kräfte beziehen. Darauf hinzuarbeiten und solche Erneuerungsprozesse und Austauschbeziehungen durch geeignete institutionelle und personelle Vorkehrungen – auch den Direktor und dessen Stab betreffend – zu fördern, sollte sich der Gesetzgeber in besonderer Weise angelegen sein lassen.
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