G. Vortrag im Rahmen des Festkolloqiums "Naturschutz neu denken" aus Anlaß des 75. Geburtstags von Dietmar Stratenwerth am 23.6.2003 im Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld: Innovationen im Naturschutzrecht

1. Vorbemerkung

Kürzlich ist eine Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes zustande gekom-men, welche einige innovative rahmenrechtliche Regelungen enthält. Diese müssen von den Landesgesetzgebern nunmehr übernommen und konkretisiert werden. Das will ich im folgenden etwas näher darlegen. Ich beginne mit ein paar kurzen Bemerkungen über Entstehung und Entwicklung des Naturschutz-rechts, mit Schwerpunkt auf dem Bundesnaturschutzgesetz. Dessen heute gel-tende neue Fassung will ich dann etwas genauer behandeln, vor allem die Nor-men über den Großgebietsschutz. Wie sich dabei zeigen wird, bleibt im Natur-schutzrecht noch vieles zu tun, und zum Schluß weise ich noch kurz auf ein-schlägige Reformüberlegungen hin.

2. Regelungen und Regulierer (Überblick)

2.1  Das Reichsnaturschutzgesetz

Am Anfang standen im Naturschutzrecht um 1900 museal-konservierende Be-griffe wie derjenige des Naturdenkmals, der naturkundlich geprägt und auch von der Naturphilosophie der deutschen Romantik beeinflusst war. In der Weimarer Verfassung gelangten Schutz und Pflege der „Denkmäler ... der Natur“ erstmals zu Verfassungsrang (Art. 150 Abs. 1). Unter den Denkmalsbegriff wurden auch schon größere flächenhafte, als ästhetisch oder wissenschaftlich schutzwürdig erachtete Natursubstrate gebracht, etwa Gebirgstäler, Hochmoore, Heideflächen. Als weiteres Schutzgut benannte jener Weimarer Verfassungsartikel im übrigen auch schon „die Landschaft“. Darin wirkte der ebenfalls dem Kaiserreich ent-stammende Gedanke des Landschaftsschutzes als „Heimatschutz“ weiter, der ein spezifisches technik-, industrie-, zivilisationskritisches Potential aufwies.

In der Weimarer Spätzeit wurde bereits an einer reichseinheitlichen systemati-schen Naturschutzgesetzgebung gearbeitet. Das Vorhaben scheiterte jedoch an wirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Gegeninteressen, Länderbedenken, parlamentarischen Widerständen, Ressortstreitigkeiten in der Ministerialverwal-tung usw. Darüber vermochte sich erst der NS-Staat hinwegzusetzen, nämlich in Gestalt des Reichsnaturschutzgesetzes von 1935, das ein Stück Regierungsge-setzgebung unter Anknüpfung an die Weimarer Vorarbeiten darstellte, nunmehr überlagert und überhöht durch völkisches Pathos. Neben dem Naturdenkmals-schutz im heute geläufigen engeren Sinn kennt das Gesetz auch schon den be-sonderen Gebietsschutz und den Artenschutz, ansatzweise auch bereits einen allgemeinen Landschaftsschutz. Die Schutzinstrumente sind großenteils konser-vierend, es finden sich aber auch schon erste planerisch-gestalterische Kompo-nenten. In der NS-Praxis führte alles dies zu einer eigenartigen Übergangslage, bei absolutem Vorrang für Militär- und Rüstungsanlagen, Reichsarbeitsdienst- und Kraft-durch-Freude-Projekte und dergleichen.

2.2  Die Landesnaturschutzgesetze

Nach 1945 wurden die NS-Floskeln im Reichsnaturschutzgesetz gestrichen, das Gesetz galt im übrigen aber im wesentlichen als Landesrecht fort. Im Zeichen von Wiederaufbau und Wirtschaftswunder rangierte der Naturschutz im öffentli-chen Bewusstsein zunächst allerdings nicht sonderlich hoch. Das begann sich erst um 1970 zu ändern, als die Umweltbewegung in Deutschland Fuß fasste. Naturschutz wurde nunmehr als Teil des Umweltschutzes verstanden, mit Aus-wirkungen auf das Naturkonzept und auf Ziele, Grundsätze und Instrumente bis ins Detail. Daraufhin kam es ab 1973 auf Länderebene zur Ersetzung des – nun als zu schwach und undifferenziert angesehenen – Reichsnaturschutzgesetzes durch neuartige Landesnaturschutzgesetze. Dazu gehört auch das 1975 entstan-dene nordrhein-westfälische Landschaftsgesetz (LG NRW), das nach späteren Novellierungen derzeit in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.7.2000 gilt.

2.3  Das Bundesnaturschutzgesetz

An der neuen Gesetzgebungswelle beteiligte sich auch der Bund, und zwar stützte er sich auf Art. 75 (heute: Abs. 1) Nr. 3 GG und schuf 1976 das Bundes-naturschutzgesetz (BNatSchG a.F.). Dessen Vorschriften sind größtenteils bloße Rahmenvorschriften für das Landesrecht, d.h. sie richten sich nur an die Landes-gesetzgeber und geben ihnen gewisse bundeseinheitliche Mindeststandards vor, welche von den Landesnaturschutzgesetzen eingehalten werden müssen. Nur wenige, eigens aufgezählte Bestimmungen des BNatSchG gelten unmittelbar, nämlich unabhängig von einer landesrechtlichen Umsetzung. Inhaltlich stellte das Gesetz damals eine einigermaßen gelungene, auf der Höhe der Zeit befindli-che Kodifikation dar, und es wurde zum festen Fundament des deutschen Natur-schutzrechts. Bemerkenswerte Neuerungen waren vor allem die Vorschriften über die Landschaftsplanung sowie über allgemeine Schutz-, Pflege- und Ent-wicklungsmaßnahmen (sog. Eingriffsregelung). Das schon vorher entstandene Landesrecht, so auch das LG NRW, wurde alledem angepasst.

1987 wurde das Bundesnaturschutzgesetz in einigen Punkten novelliert. In den nachfolgenden Jahren wurde dann immer wieder über weiterreichende Moderni-sierungen und Ergänzungen diskutiert. Die beiden großen politischen Lager blockierten sich aber gegenseitig. So kam es lediglich zu zwei als besonders dringlich geltenden partiellen Änderungen im Jahre 1998.

Nach dem Regierungswechsel vom Herbst 1998 begannen die Bemühungen um eine Totalrevision dann von neuem. Nach längerem heftigem Ringen mit Lob-byisten und ihnen nahestehenden politischen Akteuren in Opposition und Län-dern resultierte daraus schließlich das durchgängig neugefasste Bundesnatur-schutzgesetz vom 25.3.2002 (BNatSchG n.F.). Die neue Fassung bleibt inhaltlich allerdings meistenteils in der Kontinuität der alten. In vielen Fällen hat sich nur die Paragraphenzählung geändert. Nichtsdestoweniger setzt das neue Gesetz auch einige bemerkenswerte eigene Akzente. Das Landesrecht, so auch das LG NRW, muß der Neuregelung binnen drei Jahren angepasst werden, was in zur Zeit unionsregierten Ländern nur widerstrebend in Angriff genommen wird.

2.4  Neue verfassungsrechtliche Fundamente

Zur Zeit der Entstehung der Landesnaturschutzgesetze und des Bundesnatur-schutzgesetzes in den siebziger Jahren hatten auch weitläufige, bis heute anhal-tende Diskussionen über die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Natur- und Umweltschutzes begonnen, insbesondere über eine Ergänzung von Landesver-fassungen und Grundgesetz um spezifische umweltrechtliche Zielvorgaben. Un-ter Kennwörtern wie „Umweltstaat“ oder „ökologischer Rechtsstaat“ wurde über rechtliche Konsequenzen neuerer ökologisch-ethischer Konzepte und Po-stulate wie des Nachhaltigkeitsgrundsatzes debattiert. Dabei fanden auch öko-zentrische Rechtslehren wie die vom „Eigenwert“ oder „Eigenrecht“ der Natur zunehmende Beachtung.

Die Staatsaufgabe des Schutzes der „natürlichen Lebensgrundlagen“ wurde in Nordrhein-Westfalen 1985 in die Landesverfassung aufgenommen (Art. 29a, weit über den noch an der Weimarer Verfassung orientierten Naturdenkmals-schutz laut Art. 18 Abs. 2 hinausgehend). Seit 1984 gab es auch auf Bundesebe-ne Initiativen für die Einfügung eines Staatsziels Umweltschutz in das Grundge-setz. Dabei machten sich allerdings gegenläufige ökonomische Nutzungsinteres-sen weit stärker bemerkbar als in den Ländern. So kam es erst spät und sozusa-gen zufällig, im Rahmen der 1993/94 mühsam ausgehandelten Verfassungsän-derungen im Gefolge der deutsch-deutschen Einigung, zur Konstitutionalisie-rung des Umweltschutzes, nämlich zur Aufnahme eines – durchaus kompromiß-haften, mit sog. Angstklauseln belasteten – Verfassungsartikels, wonach der Staat „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“ „die natürlichen Lebensgrundlagen“ schützt (Art. 20a GG). Wohlgemerkt betreffen diese Staatsaufgabennormen auch den Naturschutz. Sie umfassen die einzelnen bioti-schen und abiotischen natürlichen Faktoren je für sich und sprechen diese auch in ihrem ökosystemaren Zusammenhang an. Ihr Schutzgut ist letztlich die als zunehmend bedroht eingeschätzte Biosphäre überhaupt. Diese konstitutionellen Grundlagen des Naturschutzes sind auch für die einfache Gesetzgebung verbind-lich. Sie werden auch bei der praktischen Handhabung des BNatSchG n.F. zu berücksichtigen sein, desgleichen bei der Anpassung des LG NRW.

2.5  Europäisches und internationales Naturschutzrecht

Auch die Europäische Union hat den Umwelt- einschließlich des Naturschutzes längst in ihre Grundnormen aufgenommen (EU-Vertrag, Präambel; EG-Vertrag, Art. 3, 174 ff.). Auch in dem neuen Verfassungsvertrag, den der EU-Verfassungskonvent derzeit ausarbeitet, wird das Thema wohl wieder begegnen. Damit wird der ebenso einfachen wie weitreichenden Erkenntnis Rechnung ge-tragen, dass Umweltentwicklung und Umweltzerstörung nicht an den Staats-grenzen haltzumachen pflegen.

Daß es auch ein europäisches, heute europaweit gefährdetes und supranational schutzbedürftiges Naturerbe gibt, drückt sich demzufolge in der Existenz eines Europäischen Naturschutzrechts aus, in exemplarischer Weise ausgeprägt in der Fauna-Flora-Habitat-(FFH-)Richtlinie und deren großem Projekt „Natura 2000“. Die nationale gesetzliche Umsetzung der Richtlinie bleibt allerdings mühselig. Im übrigen wird dieser europäisierte Habitatschutz auf lokalregionaler Ebene von betroffenen Bauern, Waldbesitzern, Jägern, Fabrikanten und Kom-munalpolitikern unermüdlich kritisiert und behindert. Nationale und Europapoli-tiker greifen jene Nutzerinteressen in populistischer Weise auf und stoßen in das gleiche Horn.

Wie das Beispiel zeigt, ist die orts- und hier auch relativ interessenferne Brüsse-ler Exekutive bei günstigem Verlauf aber durchaus imstande, jene Interessenver-treter auf Distanz zu halten. Ähnliches gilt dann auch für die innerstaatliche Sei-te, sofern sie nicht Obstruktion betreibt. Daß ein derart anspruchsvolles mehrstu-fig-planerisches, ordnungs- und daneben auch vertragsrechtlich zu verwirkli-chendes Netzwerkkonzept heute überhaupt noch möglich ist und – wenn auch ziemlich langsam – tatsächlich vorankommt, ist bemerkenswert und ermutigend.

Das FFH-Beispiel veranschaulicht auch: Der Naturschutz kann an relativer Au-tonomie und Durchsetzungskraft gewinnen, wenn er über mehrere territoriale Ebenen hinweg entwickelt und implementiert wird. Um das Ganze zu vervoll-ständigen, sei auch noch auf das – gleichfalls an Bedeutung gewinnende – welt-weit geltende Umweltvölkerrecht hingewiesen, das auch ein gewichtiges inter-nationales Naturschutzrecht umfasst. Auch dafür gilt das eben Gesagte: In ei-nem derartigen kooperativ ausgestalteten Mehrebenenmodell kann der Natur-schutz im Ergebnis an eigenem Standing und normativer Kraft gewinnen.

Dabei bleibt die staatliche, insbesondere die nationale Ebene im Fall des Gelin-gens allemal in einer Schlüsselposition. Sie muß mit der supra- bzw. internatio-nalen Ebene in adäquater Weise verflochten werden. Entsprechendes gilt für die nationale Rahmensetzungsfunktion gegenüber Ländern und Kommunen. Das spricht gegen Verfallstheorien, denen zufolge auch im Naturschutz mit so etwas wie einer Staatsdämmerung zu rechnen ist – mag man das Heil dann mehr in einer postmodern-patchworkartigen Regionalisierung/Lokalisierung/Privatisierung suchen oder mag man darauf hoffen, dass die EU gewissermaßen das Erbe der Staatenwelt antritt und zu kräftigen rahmenartig-regulierenden Aktivitäten fähig bleibt.

3. Innovative Ansätze im BNatSchG n.F.

3.1  Was gibt es Neues?

In Deutschland hat sich auf nationaler Ebene gerade wieder einiges getan. In dem neugefassten Bundesnaturschutzgesetz finden sich manche Regelungen, die durchaus fortschrittlich erscheinen. Daneben gibt es allerdings auch weniger moderne und vereinzelt sogar eher rückschrittliche Passagen. Dazu ein kurzer Überblick:

–    Überarbeitet worden sind die Bestimmungen über Ziele und Grundsätze (§§ 1 ff.), wobei etwas deutlichere ökozentrische Einschläge auffallen. Natur und Landschaft sind nach den jetzigen Eingangsworten des Gesetzes „auf Grund ihres eigenen Wertes“ zu schützen. Diese Neuerung geht auf eine Initiative des (zur Zeit unionsdominierten) Bundesrats zurück, in dem sich der bayeri-sche Umweltminister hierfür auf einen religiös verstandenen „Schöpfungs-auftrag“ berief. Die rot-grüne Bundesregierung zeigte dafür weniger Enga-gement, und der von ihr berufene Rat von Sachverständigen für Umweltfra-gen (SRU) äußerte sich zu der Eigenwert-Klausel auffällig skeptisch. Hinzu-gefügt wird denn auch in § 1 n.F. sogleich eine funktionale Bindung: Zu schützen sind Natur und Landschaft auch „als Lebensgrundlage des Men-schen“. Letztere, scheinbar eng-anthropozentrische Festlegung wird dann wiederum unter Anknüpfung an Art. 20a GG durch den Zusatz relativiert: „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“. Hier beginnt also schon ein Eiertanz, der noch viele Juristen in Arbeit und Brot setzen wird. Und so geht es auch weiter: In § 1 werden verschiedene, z.T. neugefaßte Zielkomponenten nebeneinandergestellt, welche sich nicht ohne weiteres miteinander vertragen. Um die daraus erwachsenden Spannungen und laten-ten Konflikte auszuräumen oder wenigstens niederzuhalten, bedarf es im Einzelfall schwieriger Abwägungen (§ 2 Abs. 1 Satz 1). Immerhin wird die Eigenwert-Klausel dazu beitragen können, dass die Natur fallweise bessere Chancen hat und nicht immer gleich unter die Räder kommt.

–  Die Länder werden vom Bund – inspiriert durch das FFH-Projekt „Natura 2000“ – zur Schaffung eines bundesweiten nationalen Biotopverbunds auf mindestens zehn Prozent der jeweiligen Landesfläche verpflichtet (§ 3).

–  Die Natur- und Landschaftsverträglichkeit von Land-, Forst- sowie Fische-reiwirtschaft soll von den Ländern mittels neuer Regularien verbessert wer-den. Das sog. Agrarprivileg (früher § 1 Abs. 3) war schon 1998 gestrichen worden. Nunmehr sollen diesen gewichtigen und nach wie vor einflußrei-chen, zum Teil stark naturbelastend agierenden Nutzergruppen bestimmte im Gesetz aufgeführte goldene Regeln eingeschärft werden, nämlich natur-schutzspezifische „Grundsätze der guten fachlichen Praxis“, welche zu den einschlägigen Anforderungen des Agrar- und des Bodenschutzrechts hinzu-treten sollen (§ 5). Damit verbindet sich ein bundesrechtliches Disengage-ment hinsichtlich des Ausgleichs von Nutzungsbeschränkungen, die über sol-che Gemeinwohlbindungen hinausgehen (früher § 3a). Diese finanziellen Aspekte zu regeln, soll fortan Ländersache sein, ohne dass der Bund dafür einen inhaltlichen Rahmen vorgibt (§ 5 Abs. 2). Die Betroffenen sowie Uni-on/FDP kritisierten alles dies und wollen es bei sich bietender Gelegenheit rückgängig machen.

–  Die sog. Erholungsfunktion von Natur und Landschaft wird beibehalten und an mehreren Stellen aufgewertet, beginnend mit den Zielen (§ 1) und Grund-sätzen (§ 2 Abs. 1 Nr. 13), die auch sog. Natursport („natur- und land-schaftsverträgliche sportliche Betätigungen in der freien Natur“) zur Erho-lung zählen und integrieren wollen. Bei Naturschutzexperten rief das einige Skepsis hervor.

–  In eher zaghaften Formulierungen wird eine ökologische Vorbildfunktion der öffentlichen Hand bei der Bewirtschaftung von in ihrem Eigentum oder Be-sitz befindlichen Grundflächen statuiert (§ 7).

–  Zur Stärkung des vorsorgenden Naturschutzes wird eine auf den Naturhaus-halt bezogene „Umweltbeobachtung“ normiert (§ 12), und die Landschafts-planung wird flächendeckend obligatorisch gemacht, auch für den besiedel-ten Innenbereich (§§ 13 ff.).

–  Die Eingriffsregelung soll durch Zusammenfassung von Ausgleichs- und Er-satzmaßnahmen flexibler und praktikabler gestaltet werden (§§ 18 ff.). Dies bewerteten die Naturschutzverbände als Rückschritt: Eingriffe könnten jetzt aus Naturschutzgründen faktisch kaum mehr untersagt werden.

–  Der Abschnitt über Schutzgebiete wird in vielen Punkten modernisiert, so hin-sichtlich Zonierung und Umgebungsschutz. Das Entwicklungsprinzip wird durchgängig betont (§§ 22 ff.). Bezüglich der Nationalparke (§ 24) wird die-ses Prinzip besonders herausgestellt und auf Prozessschutz und Wildnisidee ausgerichtet (dazu gleich mehr).

–  Der Meeresnaturschutz im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels wird erheblich verbessert. Der Aufbau von Offshore-Windparks soll durch die Ausweisung geeigneter Vorranggebiete naturver-träglich gesteuert und gefördert werden (§ 38).

–  Der Artenschutz wird fortentwickelt, insbesondere der Schutz vor Faunenver-fälschern und der Vogelschutz an Energiefreileitungen (§§ 39 ff.).

–  Die Mitwirkung anerkannter Naturschutzvereine wird präzisiert. Endlich wird bundesrechtlich – mit unmittelbarer Geltung (§ 11) – eine naturschutzrechtli-che Verbandsklage (jetzt: „Vereinsklage“) gewährleistet (§§ 58 ff.). Unions-regierte Bundesländer wollen die Verbandsklage jedoch über den Bundesrat eventuell wieder streichen, wie es heißt, zugunsten einer „entbürokratisier-ten“ Verkehrswegeplanung.

3.2  Ein exemplarisches Thema: Neuerungen beim Großgebietsschutz

Die in § 1 BNatSchG n.F. enthaltenen Zielsetzungen nehmen in den Regelungen über den allgemeinen und den besonderen Gebietsschutz, den Arten- und Bio-topschutz usw. legislatorisch Gestalt an. Ein exemplarisches Thema ist insoweit der Großgebietsschutz.

Allgemeines Interesse für dieses Thema war in Deutschland geweckt und stark stimuliert worden durch die Bemühungen um das nationale Naturerbe in Mittel- und Ostdeutschland in den neunziger Jahren. Sie hatten dazu geführt, dass Idee und Rechtsinstitut insbesondere des Nationalparks bundesweit an Gewicht und Beachtung gewannen, wobei auch an ältere und neuere westdeutsche Erfolge in diesem Bereich angeknüpft werden konnte. Immer deutlicher zeigte sich, dass der Großgebietsschutz heutzutage ein hohes Innovationspotential besitzt, auch über die deutschen Grenzen hinaus.

Freilich wurden weitere Fortschritte und Neugründungen dadurch behindert, dass nationalparkfähig nur solche Gebiete waren, die „sich in einem vom Men-schen nicht oder wenig beeinflussten Zustand befinden“ (so § 14 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG a.F.). Jene Vorschrift wurde von Verwaltungsgerichten so restriktiv gehandhabt, dass sie dem niedersächsischen Nationalpark Elbtalaue zum Ver-hängnis wurde. Daraufhin erhoben sich Forderungen nach Abhilfe in der Weise, dass der sog. Ziel- oder Entwicklungsnationalpark gesetzlich abgesichert und konkretisiert werden sollte. Das wurde nicht zuletzt im Hinblick auf das Projekt eines Nationalparks Senne-Lippischer Wald vorgeschlagen, das uns hier ja be-sonders am Herzen liegt und nachher noch Gegenstand eines eigenen Referats sein wird. Und es gehört nun zu den Highlights der Reform, dass der Entwick-lungsgedanke in den Bestimmungen des Abschnitts 4 (§§ 22 ff.), zumal in der neuen Nationalparkregelung (§ 24 BNatSchG n.F.), tatsächlich rezipiert und konsequent operationalisiert worden ist.

Zwar kehrt die zitierte Wendung aus § 14 a.F. in § 24 Abs. 1 Nr. 3 n.F. wieder. Alternativ zu jener Voraussetzung (gänzlich unberührte Natur oder nur wenig menschliche Beeinflussung) reicht es jetzt aber auch aus, wenn das Gebiet menschlich stärker beeinflusst und dennoch geeignet ist, „sich in einen Zustand zu entwickeln oder in einen Zustand entwickelt zu werden, der einen möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik gewährlei-stet“. Damit wird auch der Prozessschutz i.S. der Beschlüsse der Internationalen Union für die Erhaltung der Natur und der natürlichen Hilfsquellen (IUCN) ex-plizit angesprochen. Das Entwicklungsprinzip wird eng mit dem Prozessschutz-gedanken verbunden. In § 24 Abs. 2 Satz 1 n.F. wird die so verstandene Wildnis-idee noch einmal betont und als Entwicklungsziel herausgestellt. Damit wird ein übergreifender integrierter Ökosystemschutz angestrebt, wie er durch die mo-dernisierten Ziele und Grundsätze laut §§ 1 ff. n.F. – beginnend mit der Eigen-wert-Klausel – vorgezeichnet ist. Nach § 24 muß dies allerdings nur für „einen überwiegenden Teil“ des jeweiligen Schutzgebiets zutreffen. Anhand dessen lassen sich etwaige Spannungen und Konflikte mit einem eher status-quo-orientierten Arten- und Biotopschutz entschärfen, und es bleibt auch Raum für ein das Nationalparkstatut überlagerndes FFH-Regime. Auch auf menschliche Nutzungsinteressen kann auf dem Boden der Neufassung in differenzierter, sachgemäß abgestufter Weise eingegangen werden.

Auch § 24 BNatSchG n.F. gilt freilich nicht unmittelbar, sondern er enthält le-diglich Rahmenvorschriften für die Landesgesetzgebung (vgl. § 11). Auch die landesrechtliche Nationalparkregelung des § 43 LG NRW, die noch auf § 14 BNatSchG a.F. ausgerichtet ist, wird nun zu ändern und in den eben aufgezeig-ten Bahnen fortzuschreiben sein. Als Rechtsform der Ausweisung eines Natio-nalparks sieht § 43 LG NRW übrigens immer noch eine Rechtsverordnung des Umweltministeriums (nach Anhörung des Umweltausschusses des Landtags) vor, ein älteres Instrumentarium, wie es derzeit im Fall des Nationalparkprojekts in der Nordeifel erstmals verwendet wird. Wissenswert ist jedoch, dass die neue-re Länderpraxis längst einen anderen Weg eingeschlagen hat: Stark im Kommen befindlich ist das Nationalparkgesetz als für jedes einzelne Großschutzgebiet je separat ergehendes, inhaltlich zunehmend ausdifferenziertes Parlamentsgesetz. Sieben deutsche Nationalparke beruhen bereits auf derartigen fein ziselierten, sozusagen maßgeschneiderten Spezialgesetzen. Diesen fortgeschrittenen Vorbil-dern sollte auch Nordrhein-Westfalen nacheifern.

In welchen Formen auch immer – jedenfalls wird der Gesetz- bzw. Verordnung-geber gut daran tun, das neue Rahmenrecht inhaltlich aufzunehmen und auch selbstständig weiterzubilden. Er könnte dabei auch auf mittlerweile aufgetretene Besorgnisse wegen der weiten Formulierungen in der bundesrechtlichen Neufas-sung eingehen: Wird durch das Entwicklungsprinzip, auch i.V.m. dem Wieder-herstellungsprinzip (§ 1 n.F.), ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip herauf-beschworen? Droht hier ein „Naturschutz ohne Maß, wenn nicht gar ohne (erhaltenswerte) Natur“ (so Meßerschmidt)? Läuft dies auf die Schaffung „künstlicher“ Natur (Rehbinder) hinaus? Wie sollte sich die nach § 24 n.F. mög-liche aktive menschliche „Entwicklungshilfe für die Natur“ näherhin zum reinen Prozessschutz verhalten? Kann die Entscheidung, wann und wo die Natur in diesem ökozentrischen Sinn hilfsbedürftig ist, was dazu im einzelnen geschehen sollte und ab wann sie sich selbst zu überlassen ist, in der Praxis zur bloßen „Glaubensfrage“ werden (so Oerter)? Und wie könnte gegebenenfalls, in Fällen wie dem Senne-Projekt, eine etwaige Doppelnutzung eines Gebiets für Na-turschutz- und militärische Zwecke, die ja nach § 63 BNatSchG n.F. (wie auch schon nach § 38 a.F.) im Prinzip möglich ist, konkret aussehen? Das sind Fragen, die im Landesrecht aufgegriffen und mit konkretisierenden Regelungen beantwortet werden könnten.

4. Und wie wird es weitergehen?

Zum Schluß noch ein Wort über Zukunftsperspektiven und „neues Denken“ im Naturschutz. Mit dem BNatSchG n.F. ist die deutsche Naturschutzszene nicht etwa zur Ruhe gekommen und in ein sattes Dahindämmern verfallen, ganz im Gegenteil: Die Reflexion über Fragen des Woher und Wohin ist in jüngster Zeit wieder stärker in Gang gekommen, sie schlägt sich in zahlreichen Tagungen und Publikationen nieder und nimmt zunehmend prinzipiellen Charakter an.

Erwähnt sei vor allem das im vorigen Jahr vom Umweltrat vorgelegte Sonder-gutachten „Für eine Stärkung und Neuorientierung des Naturschutzes“, in dem der SRU auf eine umfassende Modernisierung der Naturschutzpolitik dringt und der Bundesregierung eine konsequente „nationale Naturschutzstrategie“ vor-schlägt, wie er sie in Bonn/Berlin bislang nicht erkennen konnte. Trotz wichtiger Teilerfolge gibt es, so die kritische Bilanzierung des SRU, nach wie vor gravie-rende Beeinträchtigungen des Naturhaushalts und Verluste an biologischer Viel-falt. Obwohl der Schutz von Natur und Landschaft in der Bevölkerung in Um-fragen hohe Sympathiewerte erreiche, stoße die Umsetzung konkreter Natur-schutzziele vor Ort immer wieder auf heftigen Widerstand. Auch bei den politi-schen Akteuren gebe es für den Schutz von Natur und Landschaft, wie für den Umweltschutz insgesamt, trotz aller Sonntagsreden zu wenig Unterstützung. Darum müsse die Debatte über Ziele und Gründe für einen anspruchsvollen Na-turschutz und über dessen gesellschaftlich-kulturelle und auch wirtschaftliche Bedeutung intensiviert werden. Sie müsse in akzeptanzfördernder Weise ins große Publikum und in den öffentlichen Raum getragen und auf diese Weise po-litisch folgenreich gemacht werden. Um die regionalen Aktivitäten zu koordinie-ren und eine gemeinsame Neuorientierung anzustoßen, sei ein verstärktes bun-despolitisches Engagement notwendig.

Durch die von ihm geforderte nationale Strategie sollten, so der Umweltrat wei-ter, konkrete Naturschutzziele formuliert und Naturschutzbelange auch besser in andere Politikbereiche integriert werden, besonders beim Flächenverbrauch durch Siedlungen und Verkehr sowie in der Agrarpolitik. Man brauche neue Bündnispartner und Gewinnerkoalitionen zwischen Naturschutz und Naturnut-zern. Ausgebaut werden sollten insbesondere ökonomische Instrumente wie handelbare Flächenausweisungsrechte und ein ökologischer kommunaler Fi-nanzausgleich. Nötig seien auch eine flächensparende Reform der Wohnungs-bauförderung sowie eine massive Umwidmung der Agrarförderung von der Ein-kommensstützung zur gezielten Honorierung ökologischer Leistungen und der ländlichen Entwicklung. Das Fördervolumen der naturschutzorientierten Agrar-umweltmaßnahmen müsse erheblich erhöht werden. Auch im Planungsrecht müssten die Naturschutzbelange gestärkt werden. Im übrigen müssten die Natur-schützer, um eine bessere Akzeptanz zu erreichen, auch „an sich selbst arbeiten“ und ihre kommunikative Kompetenz vergrößern.

So viel als kleine Kostprobe, was den Gang der heutigen Grundsatzdebatte be-trifft. Bemerkenswert ist daran ein Doppeltes: Einerseits beharrt man auf einem festen normativen Rahmen und will – „neues Steuerungsmodell“ hin oder her – nicht etwa weniger, sondern mehr Staat. Bestehende Steuerungsdefizite sollen in offensiver Weise angegangen werden, indem der Naturschutz – ohne seine an-gestammten Agenden zu vernachlässigen – auch in benachbarte, mittelbar naturrelevante Politikfelder übergreift und auf eine breit angelegte Nachhaltigkeitsstrategie hinarbeitet. Andererseits soll er auch back to the roots gehen: Er soll sich als „aktivierender Staat“ betätigen, nämlich seine zivilgesellschaftliche Basis und Legitimation stärken und entsprechende neue Handlungs- und Kooperationsformen entwickeln. Daraus folgen Tendenzen wie Regionalisierung/Lokalisierung, Netzwerkbildung, Instrumentenmix und in Maßen, vorbehaltlich der öffentlichen Essentialien und normativen Leitlinien, auch Privatisierung und Marktorientierung.

Bei letzterem Trend heißt es allerdings achtzugeben: Wo ist da der Pferdefuß? Wann können die „weichen“ Maximen und Instrumente in Staatsversagen und Kommerzialisierung umschlagen? Man kann eben nicht einfach von „imperati-vem“ zu „stimulierendem“, „konsensualem“, „ausgleichendem“ Verwaltungs-handeln, „regulierter Selbstregulierung“ (Hoffmann-Riem) u.ä. übergehen, ohne die genannten Essentialien dabei mitzubedenken und kräftig einzubeziehen. Stärken und Schwächen relativ marktnaher Konzepte wie des sog. Kooperati-onsprinzips sind inzwischen oftmals erörtert worden, und man pflegt dafür nicht mehr so sehr zu schwärmen wie noch vor ein paar Jahren.

Auch was den Vertragsnaturschutz betrifft, ist Ernüchterung eingekehrt. Bestre-bungen von Union/FDP, ihn über § 3a BNatSchG a.F. = § 8 n.F. hinaus aufzu-werten und ihm einen expliziten gesetzlichen Vorrang vor planerischen und ord-nungsrechtlichen Instrumenten zu verschaffen, sind in der Reformdebatte im politischen Raum bisher nicht durchgedrungen. Vielmehr wird – wie ich meine, mit Recht – betont, Vertragsnaturschutz sei normalerweise nur für eher klein-räumige, punktuelle und bilaterale Problemlösungen geeignet. Im übrigen kom-me er nur für flankierende und ergänzende Regelungen innerhalb eines festen normativen Rahmens in Betracht.

Oder zur finanziellen Seite der Dinge: Angesichts der Malaise der öffentlichen Haushalte sind unkonventionelle Methoden wie Drittmittel-, insbesondere Spon-sorfinanzierung heute so gut wie unvermeidlich. Sie können auch sinnvoll und segensreich sein – allerdings nur so lange, wie sie nicht in Ökonomisierung und postmoderner Beliebigkeit enden. Auch dabei sind also genaue Differenzierun-gen und klare Grenzziehungen angezeigt: Wo beginnt womöglich die Instrumentalisierung? Von wo ab droht Heteronomie? Als stabilisierender Faktor haben sich insoweit öffentliche und private gemeinwohlorientierte Stiftungen erwiesen.

Für innovative Ideen und neue zivilgesellschaftliche Initiativen und Bündnisse ist hier also einiger Raum, und dafür besteht auch wachsender Bedarf. Gerade auch auf dieser bürgerschaftlichen Ebene bleibt noch manches zu tun, und man braucht dafür einen politischen Sensus und viel Energie und Beharrlichkeit – so, wie Sie, lieber Herr Stratenwerth, es uns immer wieder vormachen!

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